Auf dieser Nerzfarm im dänischen Naestved wurden am Freitag 3000 Muttertiere getötet. Bild: keystone
Nordjütland muss wegen mutierter Coronaviren in den Lockdown. Derweil kritisieren unabhängige Forscher die Verantwortlichen in Dänemark: Es habe während längerer Zeit an verwertbaren Informationen gemangelt.
Magnus Heunicke, dänischer Gesundheitsminister quelle: ap.com
Emma Hodcroft, Epidemiologin
Mehr als eine Viertelmillion Dänen sind seit Freitag im «Lockdown»: Und zwar in Nordjütland, wo eine mutierte Variante des Coronavirus Nerze infiziert hat und in der Folge auch wieder auf Menschen übergesprungen ist.
In sieben norddänischen Kommunen mit rund 280'000 Einwohnern wurden sportliche und kulturelle Aktivitäten eingestellt, der öffentliche Nahverkehr gestoppt und die regionalen Grenzen geschlossen. Nur Personen mit sogenannten «kritischen Funktionen» wie Polizei- und Gesundheitsbeamte und verschiedene Behörden dürften die Gemeindegrenzen überschreiten, berichtete die Nachrichtenagentur AP.
Die Menschen in der Region würden nachdrücklich aufgefordert, sich testen zu lassen, hiess es. Ab Samstag müssten die Restaurants schliessen, und Schüler ab der fünften Klasse wechselten am Montag zum Fernunterricht.
Dänische Nerzfarm-Betreiber protestierten gegen die vom Staat verfügten Keulungen. Bild: keystone
In der Nacht auf Freitag hatte Grossbritannien angekündigt, die Einreisebestimmungen für Flugpassagiere aus Dänemark zu verschärfen. Wer einreist, muss 14 Tage in Quarantäne.
Die dänische Regierung hatte am Mittwoch angeordnet, dass alle Nerze im Land – etwa 15 bis 17 Millionen Tiere – getötet werden müssen. Das sogenannte Cluster-5-Virus sei von den Tieren auf Menschen übertragbar, teilte das dänische Gesundheitsinstitut SSI (Statens Serum Institut) mit.
Das mutierte Virus sei zwar wohl nicht gefährlicher, aber es bestehe das Risiko, dass die derzeit entwickelten Impfstoffe weniger gut gegen diese Variante wirken.
«Wir müssen diese Virusvariante vollständig vernichten», sagte der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke am Donnerstag und fügte hinzu, dass das mutierte Virus bei 12 Personen gefunden worden sei.
Seit Juni hätten sich mindestens 214 Menschen mit einer ursprünglich bei Nerzen aufgetretenen Variante des Coronavirus infiziert, teilte das dänische Gesundheitsinstitut SSI am Freitag mit. 200 der Fälle wurden in der Region Nordjütland nachgewiesen. In dieser Region befinden sich besonders viele Nerzfarmen. Landesweit wurde Sars-CoV-2 bereits in 216 Zuchtanlagen gefunden.
Die fortgesetzte Nerzzucht stelle während einer anhaltenden Corona-Pandemie ein erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit dar, warnten die dänischen Fachleute. Eine hohe Anzahl von Nerzfarmen habe mehr Infektionen beim Menschen zur Folge und eine hohe Zahl infizierter Nerze erhöhe das Risiko für Virusmutationen, gegen die die derzeit entwickelten Impfstoffe eventuell nicht schützten.
An die Bevölkerung gerichtet, heisst es:
quelle: ssi.dk
Im Juni 2020 wurde laut Bericht der dänischen Behörden in einer Nerzfarm in Nordjütland eine Ausbreitung von Covid-19-Infektionen «mit einer einzigartigen Nerzvariante» festgestellt. In der Folge breitete sich die Virusvariante auf ein nahe gelegenes Pflegezentrum und weitere Personen aus. Über Mensch-zu-Mensch-Ansteckungen griff das mutierte Coronavirus auf zwei weitere Nerzfarmen über.
Bisher wurden in Dänemark fünf verschiedene Gruppen oder Cluster von Nerzvarianten gefunden (Cluster 1-5), wie aus einem Bericht auf der SSI-Webseite hervorgeht.
Das Cluster-5-Virus sei in fünf Nerzfarmen und in 12 Proben im August und September gefunden worden. Davon stammten 11 aus Nordjütland und eine Person aus Seeland.
Video: YouTube/DW News
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist von den Verantwortlichen in Dänemark informiert worden.
Gegenüber der Nachrichtenagentur AP erklärten WHO-Vertreter, dass jeder Fall evaluiert werden müsse, um festzustellen, ob sich das Virus aufgrund der genetischen Veränderungen anders verhalte.
«Wir sind weit, weit davon entfernt, eine solche Feststellung zu treffen», sagte Mike Ryan, der Chef der WHO für solche Notfallsituationen. Er sagte, dass entsprechende Mutationen bei Viren immer wieder vorkommen.
Francois Balloux, Direktor des Genetikinstituts des University College London, hatte schon am Donnerstag geäussert, er glaube nicht, dass ein an Nerze angepasster Virusstamm ein höheres Risiko für den Menschen darstelle.
Die Biologin und Epidemiologin Emma Hodcroft arbeitet an der Universität Bern und hat dem deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» ein Interview gegeben, das am Freitag online publiziert wurde. Die renommierte Forscherin, die sich selber als «Virusjägerin» bezeichnet, kritisiert die mangelhafte Datenlage und warnt vor Panikmache.
Das dänische Statens Serum Institut habe im September und Oktober über zwei Mutationen berichtet. Aber ob es jetzt um diese beiden Mutationen gehe oder ob die dänischen Fachleute weitere Mutationen entdeckt haben, wisse sie nicht.
Die beiden erwähnten Coronavirus-Mutationen seien jedenfalls nicht nur aus Dänemark bekannt gewesen. Eine davon stehe in Verbindung zu einer Mutation, die mindestens einen Antikörper weniger effektiv werden lasse, was aber nicht bedeuten müsse, dass ein Impfstoff schlechter wirke.
Die Berichterstattung (seitens der dänischen Verantwortlichen) sei enttäuschend: «Die Ankündigung hat Sorgen ausgelöst und verständlicherweise zu vielen Fragen in der Öffentlichkeit geführt – die Forscherinnen wie ich jetzt nicht beantworten können, weil uns die Informationen fehlen.»
Die Epidemiologin von der Universität Bern:
Emma Hodcroft
Auch der deutsche Virologe Björn Meyer äusserte via Twitter seinen Unmut, dass die dänischen Verantwortlichen wichtige Informationen während Monaten nicht geteilt hätten.
Viren werden nicht einfach harmloser, auch wenn dies manchmal so dargestellt worden sei, betont die Epidemiologin Emma Hodcroft im «Spiegel»-Interview. HIV sei ein gutes Beispiel: Es sei seit Jahrzehnten unter Menschen verbreitet – und ohne Behandlung bringe es Leute immer noch um.
Die Nachrichtenagentur AP zitiert Peter Ben Embarek, einen WHO-Experten für Lebensmittelsicherheit. Dieser sagt, erste Studien an Schweinen, Hühnern und Rindern zeigten, dass diese Spezies «überhaupt nicht so anfällig» seien wie beispielsweise Nerze. Selbst wenn diese Tiere also mit dem Coronavirus infiziert wären, «könnten sie die Krankheit nicht in gleicher Weise aufrechterhalten und verbreiten».
Grundsätzlich können sich viele Tiere mit dem Coronavirus anstecken, berichtete SRF am Freitag. Die Liste der bekannten Fälle reicht laut Wissensredaktion von Primaten, Hamstern, Hasen, Frettchen, Fledermäuse über Hunde und Katzen. Und: «Bei der Massentierhaltung werden Infektionen leichter übertragen, weil viele Tiere nahe beisammen sind.»
Der niederländische Virologe und Zoonose-Experte Wim van der Poel sagte, dass mehr Forschung nötig sei, aber «ein Reservoir des Virus im Nerz oder anderen Vertretern der Marder-Familie» (Mustelidae) vermieden werden müsse.
Dänemark gilt als weltgrösster Exporteur von Nerzpelzen und produziert laut Schätzungen 17 Millionen Pelze pro Jahr.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA-Keystone.