BAG-Mann Daniel Koch (links) und Gesundheitsminister Alain Berset (rechts) bei einer Pressekonferenz des Bundes Anfang März. Bild: KEYSTONE/symbolbild
Anfang März wurde der Bundesrat noch kritisiert, dass er zu langsam Massnahmen gegen das Coronavirus ergreift. Interne Dokumente zeigen nun, dass mehrere Kantone auf die Bremse drücken wollten.
Heute vor genau einem Monat begann die Schweiz, das Coronavirus ernst zu nehmen. Am 28. Februar rief der Bundesrat die «besondere Lage» aus, ab der das öffentliche Leben nach und nach mehr eingeschränkt und lahmgelegt wurde. Die Covid-Erkrankung forderte in der Schweiz bislang über 200 Todesopfer und erschütterte das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wie kaum ein anderes Ereignis der jüngsten Geschichte der Eidgenossenschaft.
Die Gefahren einer Pandemie waren der Schweiz schon lange bewusst. Trotzdem handelten Bundesrat und Behörden im internationalen Vergleich sehr zögerlich, was zu Beginn der Krise zu Kritik führte.
In dieser Zeit durfte der Bundesrat noch nicht im Alleingang handeln. Das Epidemiengesetz verpflichtete die Landesregierung während der «besonderen Lage», bei jeder Massnahme ein Anhörungsverfahren einzuleiten. Der Bundesrat verschickte Ende Februar und Anfang März seinen Verordnungsentwurf an die Kantone, diese erhielten wenige Stunden Zeit, ein Feedback zurückzuschicken.
Die Rückmeldungen protokollieren teilweise detailliert, was die Kantone von den beiden Massnahmen-Paketen hielten, die der Bundesrat während der «besonderen Lage» am 28. Februar und 13. März erlassen wollte.
watson konnte gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip des Bundes diese Rückmeldungen einsehen und hat die vier spannendsten Konflikte herausgearbeitet:
Die Hälfte aller Kantone gab am 27. Februar eine Rückmeldung an den Bundesrat. Die meisten Kantone sprachen sich für das Veranstaltungsverbot aus, das am Folgetag beschlossen wurde. Bild: watson
Zu den Bremsern gehörte Ende Februar der Kanton Aargau. Am Tag bevor der Bundesrat die «besondere Lage» ausrief, stellte sich mit dem Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati ein einziger Kanton gegen die Bundesverordnung zur Einschränkung der Veranstaltungen.
Einen Grund wollte Gallati der «Aargauer Zeitung» weder Anfang März noch zu Beginn dieser Woche geben. Sein letztes Statement dazu war: «Ich hatte gute Gründe, warum ich damals gegen das Veranstaltungsverbot und dessen Ausgestaltung war.»
Der Kanton Aargau war zu Beginn gegen das Veranstaltungsverbot. bild: watson
Der Aargauer Regierungsrat hat Mitte März eine eigene, kantonale «ausserordentliche Lage» ausgerufen. Im Kanton infizierten sich mittlerweile über 350 Personen, darunter auch Regierungsrat Urs Hofmann und Polizeikommandant Michael Leupold.
Der Bundesrat versuchte derweil im zweiten Drittel des Monats März weitere Verschärfungen durchzubringen. Die Zeitungen der «CH Media» machten publik, dass die Landesregierung ein Versammlungsverbot bereits ab 300 Personen vorgeschlagen hatte. Definitiv beschlossen wurde jedoch die Grenze von 100 Personen.
Die Landsgemeinde in Glarus hätte nach dem verworfenen Vorschlag des Bundesrates ausnahmsweise durchgeführt werden können. Bild: KEYSTONE
Die Senkung passierte offenbar auf Druck der Kantone. Die Anhörungsdokumente zeigen auf, dass Solothurn, Fribourg und St.Gallen Veranstaltungen bereits ab 150 bzw. 100 Personen verbieten wollten.
Kritisiert wurde auch, dass der Bundesrat mit einem Passus die Durchführung von Landsgemeinde- und Gemeindeversammlungen ausnahmsweise erlauben wollte, sofern Verhaltens- und Hygieneempfehlungen eingehalten werden. Dieser Vorschlag stiess unter anderem bei den Glarner Vertretern auf Unverständnis, weil die Landsgemeinde «potenziell eine Virenschleuder par excellence» sei.
Fast schon absurd liest sich rückblickend die Antwort aus dem Kanton Basel-Stadt zur Ausnahme von Veranstaltungen mit «überwiegend öffentlichem Interesse». Darin heisst es, dass man eine solche Ausnahme auch für «qualifizierte private Interessen» begrüsse, damit «statutarisch zwingend vorgesehene Generalversammlungen, Fest- und Trauergottesdienste, etc.» durchgeführt werden könnten.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip wurden acht Seiten Stellungnahmen für watson zugänglich. bild: petar marjanović/watson
Gegen weitere Verschärfungen waren auch Bern und Zug. Beide Kantone wollten das Versammlungsverbot bei 1000 Personen belassen, weil eine Änderung zu «neuer Verwirrung führen» würde. Zwei Tage nach der Anhörung stellten sich beide Kantone hinter den Entscheid des Bundesrates.
Diskussionsstoff lieferten auch die Meldepflicht betreffend der Gesundheitsversorgung. Der Bundesrat schlug vor, dass Kantone laufend Zahlen zu Spitalbetten, Intensiv-Plätzen oder etwa Beatmungsgeräten liefern. Diese sind derzeit Mangelware, obwohl in den Jahren zuvor vor einem solchen Engpass gewarnt wurde.
Eine solche Meldepflicht wurde von den Kantonen als «nicht machbar», «nicht praktikabel» und «extrem aufwändig» bezeichnet. Aus der Bundeshauptstadt hiess es gar: «Der Kanton Bern verfügt über keine hinreichende rechtliche Grundlage, um die Spitäler zu verpflichten, ihm die geforderten Daten zu liefern.» Die Kritik überzeugte den Bundesrat jedoch nicht. Die Meldepflicht ist seit dem 13. März beschlossene Sache.